Anlässlich der Tagung erscheint das Buch „Kinderschlafmedizin Grundlagen und Innovationen“ von Ekkehart Paditz und Werner Sauseng (Hrsg.), in dem auf ca. 180 Seiten auf der Grundlage des Tagungsprogrammes Forschungsergebnisse aus Untersuchungen mit insgesamt mehr als 70.000 Kindern und Jugendlichen vorgestellt werden. Das umfangreiche Wissen aus 435 Studien, Dissertationen und Buchbeiträgen wird anhand eigener Untersuchungsergebnisse der Autorinnen und Autoren nach kritischer Sichtung der Fachliteratur in komprimierter und anwendungsorientierter Form vorgestellt.
22 Fortbildungspunkte
Die Sächsische Landesärztekammer honoriert die Teilnahme am Kongress und an dem zugehörigen Praxiskurs mit 22 Fortbildungspunkten. Für Pflegende wurden über ein anderes Zertifizierungssystem 10 Fortbildungspunkte zugesprochen. Diese hohen Punktzahlen weisen neben dem inhaltlich gut aufgestellten Programm auf die Tatsache hin, dass ein Praxiskurs angeboten wird, in dem Kenntnisse zu Schlafstadien, zum EEG, über die Vermeidung von Messfehlern und über aktuelle Fragen der Krankenhaushygiene gegeben werden. Mittels TED-System können alle Tagungsteilnehmer in einem Praxis-Quiz von Dr. Frank Kirchhoff aus Rostock die erworbenen Kenntnisse in anonymisierter Form reflektieren und nochmals diskutieren.
Gedächtnis, Lernen, Schlaf und Sport
„Bei 8347 Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 Jahren wurden deutliche Zusammenhänge zwischen Fehlstunden in der Schule und Schlafproblemen gesehen“, berichtet Prof. Dr. Kerstin Hödlmoser aus dem Institut für Psychologie der Univ. Salzburg. „Da Schlaf eine zentrale Rolle für das Lernen und für die Gedächtnisbildung spielt, ist ein geregelter Schlaf-Wach-Rhythmus ohne störende Licht- und Lärmreize wichtig“, stellt die Psychologin fest. In ihrem Beitrag erläutert sie die engen Zusammenhänge zwischen Gedächtnisbildung, Lernen und Schlaf. Kindergartenkinder profitierten demnach vom Mittagsschlaf.
Dreimal eine Stunde pro Woche Bewegung im Freien wirkt sich nachweislich auf Schlafstörungen (Insomnie) aus, weiß Dr. Annmarie Kramer aus Berlin zu berichten. Umgedreht wirkte sich ausreichend Schlaf auch auf die sportliche Leistungsfähigkeit aus. Ausgeschlafene Basketballer waren schneller, treffsicherer und besser gelaunt als diejenigen mit einem Schlafdefizit.
Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen
„Die aktuelle Studienlage zeigt, dass etwa 80% der Kinder und Jugendlichen von Interventionen zur Veränderung des eigenen Schlafverhaltens profitieren“, stellt die Psychologin Prof. Dr. Angelika Schlarb aus der Fakultät Psychologie und Sportwissenschaft der Univ. Bielefeld fest. Evaluierte Fragebögen und Schlaftagebücher können die Diagnostik unterstützen. Wichtig ist, den Kindern, den Jugendlichen und den Eltern Informationen über den gesunden Schlaf sowie über Konsequenzen des gestörten Schlafes zu vermitteln. Für eine ganze Reihe von Behandlungsmethoden ist die Effektivität mit zahlreichen Studien gut belegt worden. Dazu gehören u.a. die Stimuluskontrolle, Entspannungstechniken und das Infragestellen irrationaler Überzeugungen zum Thema Schlaf wie z.B. „Ich kann gut einschlafen, wenn ich im Bett noch chatte.“ Da die Kombination mehrerer Methoden sinnvoll ist, haben die Arbeitsgruppen von Frau Prof. Schlarb zwei Behandlungsprogramme für Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen entwickelt und deren Kurz- und Langzeiteffektivität in mehreren Studien nachgewiesen. Bei den kleineren Kindern steht der Zauberleopard Kalimba im Vordergrund. Jugendliche wandern mit dem Sleep doc Prof. Paul Paulsen durch ein imaginäres Schlaflabor, in dem sie gemeinsam mit ihren Eltern konkrete Hinweise zur Veränderung des eigenen Verhaltens lernen.
Die Erhebung der Anamnese kann mit Fragebögen unterstützt werden, die durch die Einbeziehung von Zeichnungen auch bereits für kleine Kinder ab der ersten Klasse verwendet werden können. Die Psychologin Dr. Barbara Schwerdtle aus der Univ. Würzburg hat dazu einen bebilderten Kinderfragebogen entwickelt und bei 393 Kindern im Alter von 6-11 Jahren evaluiert.
„Ärzte sollten zuerst zahlreiche Berichte, Beobachtungen und Befunde sammeln, bevor eine Diagnose gestellt wird“, betont Prof. Dr. Osman Ipsiroglu aus dem Kinderschlaflabor der Univ. Vancouver BC in Kanada. Erste Ergebnisse der Untersuchung von 28 Kindern, die mit der Diagnose „Autismus-Spektrum-Erkrankung“ zugewiesen wurden, zeigen, dass auf diesem Weg neben den häufig mit dem kindlichen Autismus assoziierten Ein- und Durchschlafstörungen auch bisher nicht vermutete Differenzialdiagnosen gefunden werden. Dazu gehören z.B. das Restless-Legs-Syndrom sowie unerwünschte Effekte von Medikamenten.
Dr. Sauseng aus Graz stellt bei der Beratung der Eltern von Säuglingen und Kleinkindern fest, dass selbständiges Einschlafen eine wesentliche Voraussetzung für die Fähigkeit zum Durchschlafen ist.
Der Medizinjournalist Marian Schäfer aus München hat sieben leicht verständliche Regeln zur Prävention des plötzlichen Kindstodes (SIDS) formuliert, die er in Interviewform darstellt: „Schlafsack statt Decke“, „Im eigenen Bett ruhen“, „Besser ohne Kissen“, „Nicht rauchen“, „Das Kind stillen“, „Ab auf den Rücken“ und „Schnullern schützt“. Diese Empfehlungen basieren auf den Ergebnissen zahlreicher Fall-Kontroll-Studien über SIDS-Risikofaktoren.
Ehemalige Frühgeborene haben im zweiten Lebensjahr häufiger Albträume als Reifgeborene, sie schnarchen nachts öfter und sie schlafen unruhiger, wie Claudia Sander aus Rostock nach der Befragung der Eltern von 73 ehemaligen Frühgeborenen sowie von 206 Reifgeborenen herausgefunden hat. Je früher die Kinder geboren wurden und umso leichter sie zur Geburt waren, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, dass diese Schlafprobleme beobachtet wurden.
Bei 39% der 2- bis 6-jährigen Kinder aus Graz wurde nächtliches Schnarchen beobachtet. Kinder die schnarchten, wachten nachts öfter auf, deren Eltern berichteten bei den Kindern häufiger über Nachtschweiß und schreckhaftes Aufwachen (Pavor nocturnus)(Dr. Bettina Konradt, Graz). Der Kinderneurologe Dr. Stephan Eichholz aus Dresden weist darauf hin, dass abendliche Rituale, zu denen auch Gespräche über die Tageserlebnisse gehören sollten, deutlich zur Beeinflussung des Pavor nocturnus beitragen können. Prof. Dr. Michael Urschitz aus dem Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik der Univ. Mainz gibt einen Überblick zur Epidemiologie von Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter.
Obstruktive Schlafapnoe und Ateminsuffizienz im Schlaf bei Kindern und Jugendlichen
In fünf weiteren Beiträgen wird untersucht, welche Bedeutung das nächtliche Schnarchen und obstruktive Schlafapnoen in dieser Altersgruppe haben. Ein weiterer Beitrag befasst sich mit dem Thema Beatmung bei der Spinalen Muskelatrophie.
70% (403/593) der Menschen mit Down-Syndrom schnarchen nachts. Über Tagesmüdigkeit der Menschen mit Down-Syndrom berichteten die Eltern in einer Häufigkeit von 60% (346/589). In einer populationsbasierten Untersuchung aus Norwegen wurden bei 83% bzw. 59% aller Kinder mit Down-Syndrom polysomnografisch leichte bzw. mittel- bis schwergradige obstruktive Schlafapnoen diagnostiziert. Die sich daraus ergebenden schlafmedizinischen Behandlungsempfehlungen werden zur Zeit in einer AWMF-Leitlinie zusammengefasst (Prof. Dr. Ekkehart Paditz, Dresden).
Bei Kindern mit Lernstörungen und obstruktiver Schlafapnoe hat die Entfernung der Rachen- und der Gaumenmandeln bei 6 von 20 operierten Kindern im Alter von 9 Jahren zur Verbesserung kognitiver Leistungen beigetragen (Prof. Dr. Silke Weber, Univ. Sao Paulo, Brasilien). Die sogen. Tübinger Atmungsplatte hat bei 51 von 56 behandelten Kindern mit komplexen Gesichtsfehlbildungen zur Beseitigung oder Verminderung der schlafbezogenen Atmungsstörung geführt (Dr. Dr. Silvia Müller-Hagedorn, Kieferorthopädie Univ. Tübingen). In Rostock und Kiel wurde anhand der Untersuchungsergebnisse von 1.000 Patienten nachgewiesen, dass kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungen zur Verbesserung der anatomischen Voraussetzungen im Bereich des knöchernen Gesichtsschädels beitragen (Dr. Bernd Koos, Rostock). „Kinder mit Schlafstörungen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte haben von der interdisziplinär angelegten Behandlung in besonderem Masse profitiert“, berichtet der Autor. Neonatologen fanden bei einem Säugling mit schwerer obstruktiver Apnoe eine zystische Fehlbildung in Form einer Thyreoglossuszyste im Bereich der oberen Atemwege (Dr. Wolfgang Buchenau, Univ.-Kinderklinik Tübingen).
Aus Ulm wird über die außerklinische Beatmung bei Kindern mit Spinaler Muskelatrophie Typ 1 berichtet. Dr. Kurt Wollinsky stellt ausgehend von den eigenen Erfahrungen, auf der Grundlage der Fachliteratur sowie im Konsens mit Selbsthilfegruppen fest, dass die Beatmung auch bei dieser schweren Erkrankung zur Standardtherapie gehört.
Praxiskurs
Im Praxiskurs werden nicht nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinderschlaflaboratorien, sondern auch für alle anderen Interessenten Kenntnisse zur Durchführung und Einschätzung der Untersuchung vermittelt (Dr. Stephan Eichholz, Dr. Christiane Würfel, Dresden). Die Erkennung der Schlafstadien und der Weckreaktionen im Schlaf (Arousals) wird anhand zahlreicher typischer Bilder von Frau PD Dr. Scholle aus Apolda erläutert. Sie stellt auch aktuelle Ergebnisse zur Häufigkeit von Beinbewegungen im Schlaf bei Kindern und Jugendlichen vor. Christine Hentrich und Barbara Schneider aus Apolda bzw. aus Landshut zeigen, wie Messfehler während der Untersuchung weitgehend vermeiden werden können und sie geben Hinweise, wie die Standards der Krankenhaushygiene im Kinderschlaflabor berücksichtigt werden können.
Neuropädiatrie, Endokrinologie, Kardiologie und Kinderchirurgie
In weiteren Beiträgen wird der aktuelle Kenntnisstand zur Narkolepsie im Kindesalter referiert. Das Thema hat für erhebliches öffentliches Interesse gesorgt, da in einem Impfjahr nach der Grippeschutzimpfung vermehrt über neu aufgetretene Narkolepsien bei Kindern und Jugendlichen berichtet wurde. Frau Dr. Doris Oberle aus dem Paul-Ehrlich-Institut in Langen und der Kinderneurologe Dr. Georg Handwerker aus Passau präsentieren zu diesem Thema aktuelle Daten.
Prof. Dr. Tilman Rohrer aus der Univ.-Kinderklinik Homburg/Saar. weist auf Zusammenhänge zwischen Endokrinologie und Schlaf hin. Lagebedingte Schädeldeformitäten und deren Prävention werden von Prof. Dr. Guido Fitze aus der Klinik für Kinderchirurgie des Univ.-Klinikums Dresden referiert. Der Kinderkardiologe Dr. Norbert Lorenz aus Dresden stellt den aktuellen Kenntnisstand zu möglichen Zusammenhängen zwischen lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen und plötzlichen Todesfällen im Säuglingsalter vor. PD Dr. Axel Hübler aus Chemnitz berichtet über erste Ergebnisse der Restless-Legs-Studie (RLS) bei Kindern in Deutschland. Populationsbasiert wird mittels aktiver Fallsuche nach der Häufigkeit des RLS bei Schulkindern gesucht. Bisher sind 5.100 Fragebögen zu diesem Thema an 19 Schulen aus dem Erzgebirge verteilt worden.
Die Tagung ist auf Wissenserwerb und kollegialen Erfahrungsaustausch angelegt. Wir laden ein, dieses aktuelle Angebot zu nutzen.
Ekkehart Paditz und Werner Sauseng, Dresden und Graz
Foto: Sylvio Dittrich, Dresden, www.dresden-fotografie, mit freundlicher Genehmigung.